EUD-Generalsekretär Christian Moos zum Koalitionsvertrag: Wenn den Worten Taten folgen, stehen wir vor einem großen europäischen Moment

Der Koalitionsvertrag, den SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und die FDP am Mittwoch veröffentlicht haben, beinhaltet unsere zentralsten Forderungen und Vorstellungen. Die Kernaussage lautet: „Die Konferenz [zur Zukunft Europas] sollte in einen verfassungsgebenden Konvent münden und zur Weiterentwicklung zu einem föderalen europäischen Bundesstaat führen, der dezentral auch nach den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit organisiert ist und die Grundrechtecharta zur Grundlage hat.“ Die Koalitionspartner, die eine neue Bundesregierung bilden wollen, setzen sich für einen europäischen Bundesstaat ein, wie wir ihn seit 1946 fordern. Wenn die neue Bundesregierung diese Position ernsthaft gegenüber den europäischen Partnern vertritt, entschieden für ihre europapolitischen Ziele eintritt, dann kann dies ein bedeutender Moment in der Geschichte der europäischen Integration werden.

Erfreulich ist, dass der Koalitionsvertrag auch ein europäisches Wahlrecht in Aussicht stellt mit starken Spitzenkandidaturen und transnationalen Listen. Das Europäische Parlament soll ein Initiativrecht bekommen, der Rat transparenter werden, die Gemeinschaftsmethode die intergouvernementale verdrängen. An die Stelle der Einstimmigkeit im Rat sollen zumindest in der Außen- und Sicherheitspolitik Mehrheitsentscheidungen treten, eine echte europäische Außenministerin, ein Außenminister den Hohen Bevollmächtigten ersetzen. All dies sind zentrale Forderungen der überparteilichen Europa-Union Deutschland. Bemerkenswert und vielversprechend erscheint, dass all diese Vorhaben nicht an die Voraussetzung geknüpft werden, dass alle Mitgliedstaaten diesen Weg mitgehen wollen. Dass eine Avantgarde vorangehen muss, wenn es weitergehen soll mit Europa, wird mehrfach betont.

Starkes Augenmerk gilt auch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die im Inneren zu festigen sind, und der Perspektive einer Allianz der Demokratien mit erneuerten, wieder stärkeren transatlantischen Beziehungen im Zentrum. Europäische Souveränität ist das Ziel dieses neuen Regierungsbündnisses, der Begriff der Autonomie, den gegenwärtig viele in Brüssel im Munde führen, wird tunlichst vermieden. Auch das macht Hoffnung. Denn souverän, handlungsfähig und wirkmächtig soll Europa sein. Autonom darf es nicht sein, wenn es die föderale Idee, die es prägt, ernstnimmt und eine freie Weltordnung verteidigen will. Europa darf sich nicht abschotten. Die Ziele, die der Koalitionsvertrag nennt, können der Europäischen Union und der ihr zugrunde liegenden Idee neue Strahlkraft verleihen und damit auch einen effektiven Schutzschirm gegen die autoritäre, freiheitsfeindliche Versuchung aufspannen.

Positiv hervorzuheben ist auch, dass der Koalitionsvertrag auf eine aktive demokratisch verfasste, organisierte Zivilgesellschaft setzt und diese stärker zu fördern ankündigt. Jetzt kommt es darauf an, dass die neue Koalition das geschriebene Wort auch ernst meint. Es ist Zeit für Verantwortung, für die Modernisierung nicht nur Deutschlands, sondern auch Europas. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland sein Gewicht in die europäische Waagschale wirft. Frankreich und viele andere EU-Staaten warten seit Jahr und Tag darauf. Spätestens nach der französischen Präsidentschaftswahl im kommenden Frühjahr ist der Moment für eine neue große Europainitiative gekommen. Diejenigen, die Europa und die Demokratien dieser Welt zu spalten suchen, können so doch noch zurückgedrängt werden. Scheitern darf dieser Anlauf jedoch nicht. Jede neue Regierung hat ihre Chance verdient. Das Ampel-Bündnis wird daran zu messen sein, was der Koalitionsvertrag für Europa verspricht.