Gedanken zum Tag der Menschenrechte von EUD-Generalsekretär Christian Moos

Am 10. Dezember 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Der Gedanke vereinter Nationen ist durchdrungen von der Vision, für die auch die Europa-Union als deutsche Sektion der Union Europäischer Föderalisten steht. Eine friedvoll vereinte Menschheit. Die Wirklichkeit ist eine andere, und die UNO war selten so schwach wie heute. Lange schon war die Welt nicht mehr so gespalten. Zwischen Arm und Reich, zwischen Nord und Süd und neuerdings auch wieder zwischen West und Ost.

Täglich werden an vielen Orten der Welt Menschenrechte verletzt. In jeder Minute sterben Menschen, weil Menschen ihnen Gewalt antun. Nach wie vor sind Krieg und Vertreibung, Folter und Vergewaltigung Geißeln der Menschheit. Die Normen, nach denen sie nach den Weltkriegen zusammenleben wollte, werden nicht eingehalten.

Das Prinzip der Universalität der Menschenrechte hat wichtige Grundlagen in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776. Voll zum Durchbruch kam diese Idee 1789. Die Französische Revolution, getrieben durch die Not und beflügelt von der Aufklärung, hatte sie geboren, wenn auch nicht nur sie, sondern auch den Terror im Namen des allgemeinen Willens. War die Revolution vom Weg abgekommen, oder fraß sie ihre eigenen Kinder, weil das Gute, wird es verabsolutiert, sich stets zum Bösen wendet?

Gewiss hat auch der Westen immer wieder gegen seine eigenen Werte verstoßen. Auch Guantanamo geschieht im Namen der Freiheit. Ist der Firnis der Zivilisation dünn und der Mensch, nach Thomas Hobbes, des Menschen Wolf, oder ist die Zivilisation, nach Erich Fromm, Teil des Problems? Vielleicht neigt der Mensch, nach Hannah Arendt, gerade dann zum Äußersten, wenn er sich in einer Hierarchie nicht mehr vor die quälende Aufgabe gestellt sieht, als Individuum verantwortlich von seiner Freiheit Gebrauch machen zu müssen. Der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit ist zuweilen ein steiniger Weg.

An die 10.000 Menschen haben vor wenigen Tagen in Dresden gegen eine Islamisierung Deutschlands und für ein strengeres Asylrecht demonstriert, in einem Bundesland, in dem so wenig Ausländer leben wie in kaum einem anderen. Individuelle Zukunftsängste brechen sich in einer kollektiven Verschiebung. „Das Boot ist voll.“ Der Boulevard rührt die Trommel. Der allgemeine Aufschrei ist ohrenbetäubend leise. Es ist das alte Spiel, ein brandgefährliches Spiel. „Brunnenvergifter“, rufen die Schatten einer nicht enden wollenden Vergangenheit.

In der Tat sind Millionen Syrer auf der Flucht. Über sechs Millionen sind aber Binnenflüchtlinge, bis zu drei Millionen haben im Libanon, in Jordanien und der Türkei Zuflucht gefunden. Und Hundertausende wurden verletzt oder fanden bereits den Tod. 2013 haben ganze 50.000 Syrer einen Antrag auf Asyl in den 28 EU-Mitgliedstaaten gestellt. Das Boot ist voll?

Die Idee des Europas, das die Europa-Union will, ist untrennbar mit der Idee universeller Menschenrechte verbunden. Es stünde diesem Europa gut zu Gesicht, wenn es sich auf seine Gründungsideale besönne. Frieden, Wohlstand und Supranationalität. Die universelle Geltung der Menschenrechte ist diesen Werten inhärent. In der Abschottung nach außen und immer größeren Entfremdung der Europäer auch untereinander werden sie verlorengehen.

Gewiss hat es auch andere Europaideen gegeben, gibt es auch heute Alternativen, für Deutschland, für Europa. Denn das Europa, das wir haben, ist fehlerhaft, schwerfällig und mühselig, fürwahr, frei nach Samuel Pufendorf, einem Monstrum ähnlich. Seine Unvollkommenheit aber macht es lebens- und liebenswert.

Und der Respekt vor dem Leben in seiner Vielfalt, der körperlichen und seelischen Unversehrtheit des Anderen in seiner Verletzlichkeit und Verschiedenartigkeit hat vielleicht gerade diese Unvollkommenheit zur Voraussetzung.