Keine Zeit für ideologische Grabenkämpfe - Persönlicher Einwurf von Christian Moos

Europas Zukunft hängt jetzt davon ab, ob die EU-Staaten alles in die Waagschale werfen, die russische Aggression einzudämmen. Appelle an die europäischen Partner allein reichen nicht. Die USA fallen als Geldgeber und Waffenlieferant auf unabsehbare Zeit aus. Deutschland muss jetzt vorangehen und Europa dahinbringen, dass der Wegfall der USA als größter Geldgeber der Ukraine und im schlimmsten Fall auch als Garantiemacht für die europäische Sicherheit einigermaßen kompensiert werden kann.

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Vor allem muss Berlin deutlich mehr und viel schneller als bisher in die eigene Wehrfähigkeit investieren. Die Bundeswehr braucht in allen Bereichen schnellstmöglich neue Waffen und ausreichend Munition, um einen lang andauernden intensiven Landkrieg führen und Luftüberlegenheit sicherstellen zu können. Dazu gehören auch Offensivwaffen, weil ohne die Fähigkeit zu Rückeroberungen keine Verteidigung möglich ist. Europäische Kooperationsprojekte wie FCAS und MGCS müssen beschleunigt fortgesetzt werden. Gleichzeitig müssen umgehend zur Verfügung stehende Waffensysteme beschafft werden, weil das neue Kampfflug- und das neue Panzersystem frühestens in den 2030er Jahren zur Verfügung stehen. Beides ist aus politischen und aus militärischen Gründen gleichzeitig nötig.

Europa wird nicht ohne deutsche Wehrpflicht zu verteidigen sein. Die Bundeswehr braucht im Ernstfall die Fähigkeit massiv aufzuwachsen. Das ist nur möglich, wenn ausreichend Reservisten vorhanden sind. Es wird nicht mehr möglich sein, ganze Jahrgänge einzuziehen. Das schwedische Modell allgemeiner Musterung und selektiven Einzugs kann deshalb Vorbild sein. Bei einer allgemeinen Dienstpflicht mit überwiegend zivilem Einsatz könnte zudem von vornherein in europäischen Dimensionen gedacht und grenzüberschreitende Verwendung ermöglicht werden. Keine andere Maßnahme würde die europäische Identität stärker befördern.

Darüber hinaus sind größere Investitionen in den Zivilschutz dringend geboten. Deutschland ist aktuell in Europa weit davon entfernt, hier mit gutem Beispiel voranzugehen. Zudem sollte auch der Zivilschutz umfassend europäisch angelegt sein. Es gilt, alle Bürgerinnen und Bürger die in der Europäischen Union leben, wirksam zu schützen. Die EU-Mitgliedstaaten gewinnen, wenn sie Solidarität üben und nicht wie etwa zu Beginn der Pandemie panisch innere Grenzen hochziehen.

Wer soll das alles bezahlen? Eine Ausweitung des europäischen Krieges, den Russland vom Zaun gebrochen hat, wäre deutlich teurer. Auf europäischer Ebene wurden soeben sinnvolle Neuregelungen für die öffentlichen Finanzen vereinbart. Deutschland sollte seine Schuldenbremse für die Investitionen aussetzen, die es braucht, die oben genannten Ziele zu erreichen. Denn damit macht es nicht nur sich selbst zukunftsfest, es stärkt auch Europa.

Für die kriselnde deutsche Wirtschaft ist zudem Energiesicherheit das zentrale Thema. Energiesicherheit ist für die Verteidigungsfähigkeit wichtig. Deshalb bietet es sich an, statt mit Frankreich über grünen oder blauen Wasserstoff und Taxonomie zu streiten, eine Energieallianz mit Paris und Warschau einzugehen. Eine solche Allianz kann die angesichts der alarmierenden Erderwärmung gebotene Transformation und die Sicherheit der Energieversorgung miteinander vereinbar machen. Aktuell ist die Energiepolitik ein europäischer Zankapfel, der dazu beiträgt, dass Europa und besonders Deutschland wirtschaftlich an Boden verlieren. Und um Russland von einem Angriff auf EU-Gebiet abzuschrecken, ist es an der Zeit für die nukleare Teilhabe Deutschlands, wie Frankreich sie mehrmals angeboten hat.